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Pressemeldung vom 27.06.2025

Am vergangenen Dienstag wurde die lang ersehnte Evaluation des deutschen Prostituiertenschutzgesetzes (ProstSchG) vom Bundesministerium für Bildung, Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMBFSFJ) vorgelegt. 2017 war das Gesetz implementiert worden und sollte unter anderem die sexuelle Selbstbestimmung und den Schutz von Menschen in der Prostitution vor Zwang und sexueller Ausbeutung stärken. Kritik gab es bereits seit Jahren von zahlreichen ExpertInnen und spezialisierten Vereinen. Doch bevor man auf politischer Ebene Veränderungen in Betracht ziehen wollte, sollte zunächst die Evaluation abgewartet werden. Diese liegt nun vor – mit überraschenden Fazit: Das ProstSchG habe „Stärken“ und „auch Schwächen“. Letztere schienen aus Sicht des Forschungsteams jedoch „weitgehend behebbar“, sodass man „vor allem Potenzial“ sehe.

Nicht repräsentativ für den Großteil der Menschen in Prostitution

Frank Heinrich, Vorsitzender des Bündnisses Gemeinsam gegen Menschenhandel e.V. mit über 40 Mitgliedsorganisationen, die sich gegen Menschenhandel und sexuelle Ausbeutung in Deutschland einsetzen und vor allem aufsuchend unter Menschen in der Prostitution tätig sind, zeigt sich überrascht und entsetzt von der positiven Bilanz: „Die gesamte Stichprobe der Evaluation weist wissenschaftlich schwerwiegende Mängel auf. Sie ist zwar groß und heterogen, hat jedoch starke Verzerrungen, die die Aussagekraft erheblich limitieren.“ So besäßen von den insgesamt 2.350 befragten Personen aus der Prostitution rund 45% die deutsche Staatsangehörigkeit und hätten Deutsch als Muttersprache angegeben. „Dies entspricht überhaupt nicht dem Bild, das sich den Fachberatungsstellen aus unserem Bündnis darstellt“. In der aufsuchenden Arbeit begegneten die Mitgliedsvereine von Gemeinsam gegen Menschenhandel e.V. vorwiegend Frauen mit Migrationshintergrund, von denen viele nur sehr wenig Deutsch sprechen, so Heinrich. „Wenn der Evaluationsbericht nun hervorhebt, dass die überwiegende Mehrheit der Befragten ihre Rechte bezüglich ihrer sexuellen Selbstbestimmung kennen würden und auch wüssten, wo sie Hilfe erhalten, ist das zwar super, ist aber nicht repräsentativ für den Großteil der Menschen in Prostitution in Deutschland!“ Mit den Berichtsdaten sei eine fundierte Beurteilung zentraler Zielgrößen des ProstSchG, insbesondere zu Schutzwirkung gegenüber Zwang und Ausbeutung sowie der Wirksamkeit ausstiegsfördernder Maßnahmen, unmöglich.

Besorgt zeigt sich Heinrich auch bezüglich der Empfehlung des Forschungsteams, es solle geprüft werden, ob die Anwendung des ProstSchG auch auf „minderjährige Prostituierte“ ausgeweitet werden solle, um im Bedarfsfall Schutzmaßnahmen zu ermöglichen. „Dies vermittelt den Eindruck, dass man minderjährige Prostitution einfach hinnehmen und normalisieren will. Dabei sollte man sich bei Minderjährigen vielmehr automatisch die Frage nach Ausbeutung und Menschenhandel stellen“, kritisiert Heinrich. Die Prostitution von Minderjährigen sei ein Straftatbestand, da müsse es andere Wege geben, um Betroffene zu schützen.

Es braucht ein komplettes Umdenken

Positiv bewertet Heinrich, dass das Ministerium nun eine unabhängige ExpertInnenkommission einberufen will. Es gebe viel zu tun. Zustimmen könne er dem Evaluationsbericht auch in einem Punkt: „Im Bericht heißt es, die Untersuchung könne keine valide Aussage darüber treffen, ob Prostitution insgesamt in Deutschland zu- oder abgenommen hat und wie sich Prostitution, Zwangsprostitution und damit verbundene organisierte Kriminalität in Deutschland und im Vergleich in den europäischen Nachbarländern entwickelt haben.“ Für eine solche Bewertung empfiehlt Heinrich die ebenfalls am Dienstag erschienene „Datenbezogene Analyse zu rechtlichen und ethischen Auswirkungen der Nordischen Modelle in Schweden – Norwegen – Frankreich“ von Jakob Drobnik. 

Für das Bündnis Gemeinsam gegen Menschenhandel e.V. steht fest: Es braucht ein komplettes Umdenken in Deutschland und eine klare Hinwendung zum sogenannten „Nordischen Modell“ der Prostitutionspolitik. Dieses Modell, für das sich auch das Europäische Parlament 2023 ausgesprochen hat, haben nach Schweden bereits Norwegen, Island, Frankreich, Kanada, Nordirland, Irland und Israel übernommen. Es fokussiert sich auf Entkriminalisierung und Schutz von Menschen in der Prostitution, Ausstiegshilfen und Prävention sowie auf die generelle Bestrafung aller, die von der sexuellen Ausbeutung profitieren – vor allem die Freier, die durch ihre Nachfrage überhaupt erst einen „Markt“ für Prostitution schaffen.

HIER findet sich die komplette Evaluation sowie die zwei Gutachten zum Download.

HIER gibt es unsere Pressemeldung als PDF.

seri filmler