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Prostitution ist stets unzumutbar

By Prostitutionspolitik

Ein Job wie jeder andere?

Ist Prostitution oder „Sexarbeit“ ein Job wie jeder andere? Wenn es nach dem Berliner Sozialgericht geht, ist sie es nicht.

So verkündete das Sozialgericht Berlin in einem Urteil vom 19. Juli 2022, dass eine Person, die in Deutschland selbstständig in der Prostitution tätig gewesen ist, diese Arbeit jederzeit aufgeben kann, da sie als unzumutbar (gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 5 SGB II) gewertet werden muss.

Dass diese Frage erst mittels eines Gerichts beurteilt werden musste, mag so manche/n, dem/der die Umstände von Menschen in der Prostitution bekannt sind, verwundern. Wenn man sich jedoch vor Augen führt, wie Prostitution nicht nur verbal (als „Sexarbeit“), sondern auch (arbeits-)rechtlich in unserer Gesellschaft normalisiert wird, wird klar, warum diese Frage eben nicht so eindeutig zu beantworten war.

„Für eine Arbeitssuche dürfen sich EU-Bürger bis zu drei Monate in jedem anderen EU-Land aufhalten. Dabei ist in Deutschland der Anspruch auf Hartz-IV-Leistung als Grundsicherung für Arbeitsuchende ausgeschlossen. Wenn eine längere Tätigkeit unverschuldet zu Ende geht, besteht aber weiterhin ein Aufenthaltsrecht und EU-Ausländer haben dann auch Anspruch auf Hartz IV-Leistungen“, erklärt das Juraforum hierzu.

Juraforum, 2022

Der aktuelle Fall

Im aktuellen Fall wollte eine Bulgarin, die zwischen 2014 und 2019 in Deutschland selbständig in der Prostitution tätig war und Steuern gezahlt hatte, von diesem Recht Gebrauch machen. Die 29-Jährige hatte bereits einen 11-jährigen Sohn. Nun war sie zum zweiten Mal schwanger und konnte die Tätigkeit der Prostitution ihren eigenen Angaben zufolge nicht länger ertragen. Sie hörte also mit der Prostitution auf und suchte um Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II (zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs, welches die Grundsicherung für Arbeitssuchende, „Hartz IV „, regelt) an.

Das Jobcenter Berlin Lichtenberg gewährte den Klägern auch zunächst für die Zeit bis einschließlich September 2020 diese Leistungen. Mit Oktober 2020 wollte es diese jedoch plötzlich nicht länger gewähren. Die Begründung lautete, die Bulgarin habe ihre Arbeitslosigkeit schließlich selbst verschuldet, als sie ihre selbständige Tätigkeit „bewusst und freiwillig“ beendet hatte.

Entscheidung des Gerichts

Zur Diskussion stand also die Frage, ob Prostitution als legale selbstständige Tätigkeit in Deutschland wie jede andere Arbeit zu bewerten ist.

Dies sah das Berliner Sozialgericht zum Glück anders: Es stellte fest, dass die Beendigung der Tätigkeit „vielmehr auf den objektiv unzumutbaren Umständen der prekären Armutsprostitution, die die Klägerin in den Jahren 2017 bis Juni 2019 ausgeübt hat“ beruhten. Es sei offensichtlich, dass es objektiv keinem Menschen zugemutet werden kann, sich unter den von der Klägerin […] geschilderten Bedingungen des Berliner Straßenstrichs zu prostituieren.“ Grundsätzlich sei die „willentliche Beendigung der Prostitution“ nicht als „freiwillige Aufgabe der Erwerbstätigkeit“ im Sinne des Freizügigkeitsgesetzes/EU zu sehen, die einen Fortfall des Aufenthaltsrechts und damit der Sozialleistungsberechtigung nach sich zöge, erklärte das Gericht entgegen der Argumentation des Jobcenters.

Weiters verdeutlichte das Gericht, dass eine Tätigkeit in der Prostitution nicht mit einer gewöhnlichen Erwerbstätigkeit vergleichbar sei. Vielmehr berühre sie die Intimsphäre und damit die Menschenwürde der betroffenen Personen in besonders starker Weise. Daher dürfe der Staat aufgrund seiner Schutzpflicht für die Menschenwürde zum Einen keine Arbeitsvermittlung in die Prostitution vornehmen und Hilfsbedürftige zum Anderen nicht dazu zwingen, sexuelle Dienstleistungen zu erbringen, um eine Verringerung ihrer Hilfebedürftigkeit zu erzielen. Dies gelte unabhängig davon, dass die Bulgarin die Arbeit zuvor ausgeübt hat: „Eine objektiv unzumutbare Arbeit, deren Ausübung der Staat von niemandem verlangen kann, wird nicht deshalb zumutbar, weil die Person die Arbeit zeitweise ertragen hat.“

Ein Schritt hin zum Nordischen Modell?

„Ist dieses Urteil damit geeignet, ein Sexkaufverbot nach dem sogenannten nordischen Modell zu begründen?“, fragt die taz. Zumindest greift es den grundsätzlichen Gedanken des Gleichstellungsmodells (Nordischen Modells) auf: Prostitution ist eben nicht zumutbar und kein „Job wie jeder andere“. Vielmehr brauchen Menschen Ausstiegshilfen, wenn sie es nicht länger ertragen, und keinen Staat, der ihnen nahelegt, sie müssten in der Prostitution verbleiben, egal unter welchen Umständen.

Dank dieses wichtigen Urteils des Berliner Sozialgerichtes blieb das Aufenthaltsrecht der Bulgarin bestehen und ihr und ihren Kindern wurden Hartz-IV-Leistungen zugesprochen.

HIER geht es zum GGMH Positionspapier zum Gleichstellungsmodell bzw. „Nordischen Modell“

Quellen:

Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (Freizügigkeitsgesetz/EU – FreizügG/EU) § 2 Recht auf Einreise und Aufenthalt, online: https://www.gesetze-im-internet.de/freiz_gg_eu_2004/__2.html

Juraforum (20.07.2022): Ausstieg aus der Prostitution vom Sozialgericht Berlin erleichtert, online: https://www.juraforum.de/news/ausstieg-aus-der-prostitution-vom-sozialgericht-berlin-erleichtert_258216

SG Berlin (2022): Beschluss S 134 AS 8396/20 vom 15.06.2022, online: https://www.sozialgerichtsbarkeit.de/node/171606

taz (30.07.2022): Kein Job wie jeder andere, online: https://taz.de/Prostitution-vor-Gericht/!5868438/

Photo by Thomas Ashlock on Unsplash

Strafe für Gewährung von Kirchenasyl

By sexuelle Ausbeutung

Eine Würzburger Ordensschwester muss sich erneut vor Gericht dafür verantworten, dass sie zwei Betroffenen von Menschenhandel Kirchenasyl gewährt hatte. Am 14. Juli findet nun der Berufungsprozess statt, in dem die Staatsanwaltschaft sogar noch eine höhere Strafe fordert, während die Ordensschwester auf einen Freispruch hofft.

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Unsere Abschlusskonferenz des EU-Projekts „INTAP“

By Forschung

Wir sind glücklich und dankbar, dass unsere Abschlusskonferenz des EU-geförderten Projekts INTAP (Intersektionaler Ansatz für den Integrationsprozess in Europa für Überlebende des Menschenhandels) am 13. Oktober tatsächlich live in Karlsruhe stattfinden konnte! Wir waren mit etwa 100 Teilnehmenden vor Ort versammelt und haben unsere Projektergebnisse vorgestellt, spannenden Vorträgen zugehört und angeregte Diskussionen über den Kampf gegen Menschenhandel geführt. Auch ein Kriminaloberkommissar, eine Anwältin für Asylrecht und andere am Prozess der Hilfe und Unterstützung der Opfer von Menschenhandel beteiligte Personen waren mit dabei und haben mitdiskutiert.
Wir – national und international tätige Menschenrechts- und Frauenhilfsorganisationen und Wissenschaftler*innen – haben im Rahmen dieses Projekts die Integration von weiblichen Betroffenen des Menschenhandels aus Nigeria und China untersucht. Laut einer Datenerhebung der Europäischen Kommission über Menschenhandel von 2018 stellten nigerianische Betroffene die größte Gruppe Drittstaatsangehöriger dar. Chinesische Frauen und Mädchen bildeten die drittgrößte Gruppe. Aus diesem Grund haben wir uns in dem Projekt auf diese beiden Opfergruppen fokussiert. Im Mittelpunkt der Forschung stand die Frage nach den Chancen und Hindernissen für den Integrationsprozess der Betroffenen.

Forschungsergebnisse:
Für beide Gruppen (nigerianische und chinesische Frauen) besteht die größte Chance für eine gelungene Integration in dem Kontakt zu einer Vertrauensperson. Diese Vertrauenspersonen sind in den meisten Fällen Sozialarbeitende. Das Haupthindernis ist die Angst. Die erlebten Traumata und die Furcht vor Menschenhändlern und Gottheiten – Stichwort „Juju-Schwur“ – können eine lähmende Wirkung auf die Betroffenen haben.
Bei der Integration der chinesischen Frauen bildet der Mangel an Kenntnissen einer europäischen Sprache ein weiteres großes Hindernis. Auch der enge Kontakt zu Landsleuten hält sie oft von der Integration ab. Die Stigmatisierung von Frauen in der Prostitution und die enge Verbindung der chinesischen Gemeinschaft zum chinesischen Staat stellen eine große Gefahr für die Betroffenen dar. Beide Aspekte haben aber auch das Potential für eine Chance: Das Erlernen einer europäischen Sprache und das starke Bedürfnis nach Gemeinschaft können von großer positiver Bedeutung für die Integration der Chinesinnen sein.

Im Mittelpunkt der Kritik standen – auf Deutschland bezogen – die fast aussichtslosen juristischen Kämpfe für ein Bleiberecht der Menschenhandelsopfer, chronisch unterfinanzierte Beratungsstellen, nicht ausreichende Hilfsangebote für Betroffene und stark zurückgegangene Menschenhandelsprozesse. Die Kritikpunkte wurden auf der Konferenz beim abschließenden Podiumsgespräch aufgegriffen, mit dem Ergebnis, dass eine Veränderung der Gesetzeslage für Opfer von Menschenhandel unabdingbar ist.

Handlungsempfehlungen für Interessierte:
Neben dem Forschungsbericht haben wir auf der Konferenz ein Projekthandbuch vorgestellt, das auf den Ergebnissen des Forschungsberichts basiert. Darin werden zum Beispiel spezifische Schulungen für die Vertrauenspersonen aufgeführt und weitere Lösungsansätze, wie Trauma-Schulungen des medizinischen Personals, interkulturelle Elternarbeit, Mutter-Kind-Sprachkurse, Lockerungen im Aufenthaltsrecht und verbesserte staatliche Finanzierung beschrieben.

Beteiligte Organisationen:
Unser Bündnis Gemeinsam gegen Menschenhandel e.V. war am Projekt als Leadpartner beteiligt zusammen mit den Partnern: The Justice Project e.V., Herzwerk Wien, SOLWODI Deutschland e.V., Associazione Comunità Papa Giovanni XXIII (Italien) und der Wissenschaftler Simon W. Kolbe von der Universität Eichstätt-Ingolstadt.

Die Forschungsberichte und Handbücher können auf der Projekt-Website in verschiedenen Sprachen angesehen und heruntergeladen werden: https://intap-europe.eu/materialien/?lang=de

Start des neuen EU-Projekts INTAP

By Forschung

Im Februar startete unser neues, von der EU geförderte Projekt INTAP mit einer Kick-Off-Veranstaltung in Berlin. Die Abkürzung INTAP steht für „Intersektioneller Ansatz zum Integrationsprozess in Europa für Betroffene des Menschenhandels” („Intersectional approach to the process of integration in Europe for survivors of human trafficking”). Das Projekt zielt darauf ab, die Integration nigerianischer und chinesischer Betroffener von Menschenhandel zu verbessern. Entsprechend der Zielgruppe sind diesmal andere Kooperationspartner eingebunden als bei unserem vorherigen EU-Projekt GIPST. Diesmal arbeiten wir mit zwei deutschen (The Justice Projekt, SOLWODI Deutschland), einem österreichischen (Herzwerk Wien) und einer italienischen NGO (Associazione Comunità Papa Giovanni XXIII) zusammen. Außerdem ist ein Experte der Eichstätter Caritas-Flüchtlings- und Integrationsberatung im Team. Weitere Informationen gibt auf der Website unter www.intap-europe.eu 

EU-Projekt GIPST erfolgreich abgeschlossen

By Forschung

Unser EU-Projekt „GIPST“ wird demnächst, Ende Dezember 2018, erfolgreich abgeschlossen. In den vergangenen zwei Jahren hatten wir mit insgesamt sieben deutsche Organisationen aus Berlin, Hamburg und Stuttgart zusammen mit der Set Free Foundation in Sofia (Bulgarien), die Möglichkeit viele Materialien zu erstellen, um die Identifikation und Integration von Betroffenen von Menschenhandel zu verbessern. Wir freuen uns über die fleißige Nutzung und Verbreitung.

In den Städten Berlin, Hamburg und Stuttgart wurde ein Mapping von Prostitutionsstätten gemacht, um einen besseren Überblick über die jeweilige Situation zu bekommen.

Wir haben auch 18 Seminare in Flüchtlingsunterkünften gehalten, um über die Gefahren von Menschenhandel aufzuklären. Dafür wurden Flyer und PowerPoint-Präsentationen erstellt.

Für Frauen in der Prostitution hat „Neustart“ Infos zum Prostituiertenschutzgesetz auf einem ansprechenden Flyer zusammengetragen.

Für den Bereich der Integration wurde das Kompass-Programm entwickelt, ein Unterrichtsprogramm, das Aussteigerinnen alle wichtigen Kompetenzen für die Arbeitswelt vermitteln soll. Dazu gehört auch ein Patinnen-Programm, um die Frauen in dem Prozess zu begleiten und ihnen die soziale Integration zu erleichtern. Darüber hinaus wurden Kontakte zu Unternehmen aufgebaut, um Arbeitsstellen für die Betroffenen zu schaffen.

Der dritte Bereich von GIPST befasste sich mit der Verbesserung der Rückkehr-Betreuung. Es wurden Kontakte zu Organisationen in den wichtigsten Herkunftsländern aufgebaut und viele Hintergrundinformationen zu den Ländern und ein Handout zur Planung einer Rückkehr zusammengetragen, die bei der Betreuung von Rückkehrerinnen hilfreich sind.

Fachtagung zur Bekämpfung des Menschenhandels war ein Erfolg!

By Bündnis

„Menschenhandel in Deutschland – Herausforderungen durch Flucht und Integration“ – dies war die zentrale Thematik der Fachtagung am 11. und 12. November in Berlin.
Über 150 Personen aus verschiedenen Fachbereichen wie Kriminalistik, Sozialarbeit, Jura, etc. kamen zusammen, um sich über die bedeutsame aber vielerorts tabuisierte Thematik auszutauschen.

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