Mit dieser Frage beschäftigten sich sieben ForscherInnen des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN) über einen Zeitraum von 10 Monaten. Sie untersuchten zahlreiche Strafverfahrensakten und führten ExpertInneninterviews durch. Ihr 160-seitiger Forschungsbericht zur „Evaluierung der Strafvorschriften zur Bekämpfung des Menschenhandels (§§ 232 bis 233a StGB) wurde im November 2021 veröffentlicht.
Am 11. Oktober 2022, 18:00 bis 19:30 Uhr stellen sie die Ergebnisse nun in einem Gastvortrag im Rahmen des Kriminologischen Kolloquiums einem breiteren Publikum vor. Wer daran teilnehmen (auch online) muss sich bis zum 09.10.2022 über diesem Link anmelden.
Der Evaluierung vorausgegangen war eine Ausschreibung durch das Bundesministerium für Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) für eine externe Evaluation der im Jahr 2016 neu gefassten §§ 232 bis 233a StGB.
Das ForscherInnenteam machte es sich zum Ziel, dem bereits bei Inkrafttreten des Gesetzes von Stimmen aus der Praxis geäußerten Vorwurf, die reformierten Strafvorschriften entfalteten in der Praxis keine Wirkung, nachzugehen. Außerdem wollten sie bei der Evaluierung die auf internationale Ebene teilweise geäußerte Kritik einer angeblich unzureichenden Strafverfolgung in Deutschland berücksichtigen. Mittels einer retrospektiven Gesetzesfolgeabschätzung sollte im Wesentlichen die Zielerreichung der Gesetze sowie sonstige Bewährungen neu geschaffener Regelungen in der Praxis kontrolliert werden. Das Team wollte außerdem mögliche (nicht-intendierte) Nebenfolgen ermitteln und bewerten, um im Ergebnis den möglichen Novellierungsbedarf und -umfang beurteilen zu können.
„Alles beim Alten“
Im Fazit kommt der Bericht zu dem Schluss, dass scheinbar „alles beim Alten“ geblieben ist, der Gesetzgeber das Ziel, die strafrechtliche Bekämpfung des Menschenhandels zu verbessern, also bislang nicht erreicht habe.
Im Rahmen der ExpertInneninterviews hatten StaatsanwältInnen beispielsweise in Bezug auf verschiedene Tathandlungen angegeben, dass diese nun schwieriger nachzuweisen wären. Dies beträfe z.B. den Ursachenzusammenhang zwischen der Gewaltanwendung durch den/die Täter/in gegenüber dem Opfer und einer daraus resultierenden Veranlassung des Opfers, die Prostitution fortzusetzen. Ebenso sei das gesetzgeberische Vorhaben, dem Phänomen der sogenannten Loverboys mittels des Tatbestandsmerkmals „List“ Herr zu werden, aus demselben Grund der Nachweisschwierigkeit nicht gelungen.
Der Bericht hebt außerdem die Bedeutung einer Spezialisierung im Bereich Menschenhandel hervor. So drückten die befragten ExpertInnen vermehrt aus, dass vor allem auf Seiten der Gerichte wenig Expertise bezüglich Menschenhandelsverfahren vorliege, die aber aufgrund der Besonderheiten von Menschenhandelsverfahren, wie Spezifika der Opfer und des Prostitutionsmilieus, aber auch aus den tatbestandlich sehr komplizierten und schwer nachzuweisenden Paragraphen, unbedingt erforderlich sei.
Fünf Thesen
Auf den letzten sechs Seiten des Berichts zeigt das ForscherInnenteam in Form von fünf Thesen auf, worin die Ursachen für die mangelnde Verbesserung im Bereich der strafrechtlichen Bekämpfung des Menschenhandels liegen und was möglicherweise getan werden könnte, um das erstrebenswerte Ziel zu erreichen:
1. Die Probleme bei der Strafverfolgung resultieren zu einem nicht geringen Teil aus den materiell-strafrechtlichen Vorschriften. Diese Probleme können partiell durch Änderungen der §§ 232 bis 233a StGB behoben werden.
2. Weitere Probleme, die mit den §§ 232 bis 233a StGB verbunden sind, lassen sich nicht durch Änderungen im materiellen Recht lösen. Dies gilt zumindest dann, wenn man nicht eine radikale Reform der Menschenhandelstatbestände befürwortet. Die Lösung der Probleme muss daher auf einer anderen Ebene gesucht werden.
3. Die strafprozessrechtlichen Instrumente zur Bekämpfung des Menschenhandels reichen weitgehend aus. Einzig zu erwähnen ist eine Erweiterung des Katalogs schwerer Straftaten in § 100a Abs. 2 Strafprozessordnung (StPO).
4. Zur Behebung der Probleme in der Strafverfolgung des Menschenhandels bedarf es vermehrter Schulungen und Spezialisierungen.
5. Es ist notwendig, die §§ 232 bis 233a und deren Regelungsumfeld sowie die Handhabung dieser „Nachbarregelungen“ im Wege einer ganzheitlichen Betrachtung in den Blick zu nehmen.
Der Bericht endet mit der Feststellung und klaren Forderung des ForscherInnenteams:
„[Es ist] offenbar geworden, dass die Handhabung des ProstSchG […] einer erfolgreichen Bekämpfung des Menschenhandels im Wege stehen könnte. […] [D]ie bevorstehende Evaluation des ProstSchG [bietet] die Möglichkeit, die Umsetzung gewerbe- und strafrechtlicher Normen mit Bezug zum Menschenhandel ganzheitlich und auch auf (schädliche) Wechselwirkungen hin zu untersuchen. Diese Chance sollte genutzt werden!“
(Bartsch et al, 2021: 97)
Das Prostituiertenschutzgesetz (ProstSchG) ist seit 2017 in Kraft und schreibt nach fünf Jahren eine Evaluierung vor. Mit dieser wurde im Juni 2022 ebenfalls das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachen (KFN) vom Bundesfrauenministerium beauftragt. Die komplette Evaluierung muss dem Deutschen Bundestag bis zum 1. Juli 2025 vorgelegt werden. Weitere Verschärfungen des Gesetzes sind bis dahin nicht zu erwarten. (siehe auch Blogbeitrag „Bundesregierung verschärft die Freierstrafbarkeit“ vom 20. Juli 2021)
Der gesamte Bericht steht hier zum Download zur Verfügung: https://kfn.de/wp-content/uploads/Forschungsberichte/Bericht_Evaluierung_Strafvorschriften_Bekaempfung_Menschenhandel.pdf
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